Beseelt vom Willen nach Frieden im geeinten Europa
Die völkerverbindende und völkerversöhnende Freundschaft beider Städte gehörte deutschlandweit zu einer der ersten deutsch-französischen Partnerschaften. Sie untermauerte den Friedenswillen von Deutschen und Franzosen noch vor der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags. Diesen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle am 22. Januar 1963 im Pariser Élysée-Palast. Er trat am 2. Juli 1963 in Kraft. Man setzte zukunftsweisend auf Aussöhnung und Freundschaft, nicht mehr auf Auseinandersetzungen mit dem „Erbfeind“!
Wie kam es zur Städtepartnerschaft Baden-Badens mit der „Perle der Côte d’Azur“?
Akten des Baden-Badener Stadtarchivs belegen bereits eine erste Kontaktaufnahme zwischen beiden Städten im Juli 1960, ausgehend von einer Anfrage Baden-Badens. Einen wesentlichen Impuls dazu gab der damals beim französischen Oberkommando in Baden-Baden tätige General Eugène Jannot, der aus Menton stammte. Vermittelnd dazu eingeschaltet und quasi Geburtshelfer war die „Internationale Bürgermeister-Union für deutsch-französische Verständigung und europäische Zusammenarbeit“.Mentons Bürgermeister Francis Palermo, der das verantwortungsvolle Amt von 1953 bis1977 ausübte, schrieb an seinen Amtskollegen Schlapper, dass er gerne nach Baden-Baden reisen würde, um die Stadt näher kennenzulernen. OB Schlapper lud ihn ein und schlug den Dezember 1960 oder die ersten Wochen im neuen Jahr als Besuchstermin vor.
Mentoneser Bürgermeister Francis Palermo besucht 1960 Baden-Baden
Doch dann ging alles ganz schnell: Bürgermeister Francis Palermo, der zudem Mitglied des französischen Abgeordnetenhauses war, reiste mit den Beigeordneten Gabriel Cremel und Jean Rondelli zu einer Konferenz nach Berlin. Auf dem Rückweg, am 11. Dezember 1960, besuchten die Mentoneser Gäste Baden-Baden. Für den verhinderten Oberbürgermeister begrüßte Kurdirektor Hans Seydel, der fließend Französisch sprach, die Delegation auf das Herzlichste und machte sie Verlauf einer Stadtrundfahrt mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Bäder- und Kurstadt bekannt, darunter das Friedrichsbad, das Kurhaus und die Spielbank.
General Jannot lud die Gäste aus Menton zum Mittagessen ein. Bei einem Gespräch nach Tisch nahm der französische Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft (DFG) in Baden-Baden, Meyer, teil. Die DFG wurde bereits am 13. April 1956 als eingetragener Verein nach deutschem Recht von Deutschen und Franzosen gegründet. Palermo berichtete, bei den Vorbesprechungen im Stadtrat von Menton sei keine große Begeisterung angesichts einer Partnerschaft mit einer deutschen Stadt aufgekommen. Als aber erstmals der Name Baden-Baden gefallen sei, habe der Name jedoch sofort gezündet und Begeisterung erweckt.
„Ich selbst bin vom dem in Baden-Baden Gesehenen sehr beeindruckt,“ unterstrich Palermo. „Ich kann mir vorstellen, dass die Verbindung trotz der großen Entfernung zu einer ersprießlichen Zusammenarbeit führen kann. Ich habe noch vor Weihnachten Gelegenheit, dem Stadtrat über meine Eindrücke in Baden-Baden zu berichten und bin überzeugt, dass die Stadträte dem Vorhaben voll und ganz zustimmen werden.“ Danach sollte die Einladung an Oberbürgermeister Dr. Schlapper zum Besuch Mentons zum Zitronenfest Mitte Februar ergehen.
Bereits am 3. Januar 1961 teilte Francis Palermo seinem deutschen Amtskollegen mit, dass der Mentoneser Stadtrat sein Einverständnis für eine Jumelage einstimmig erteilt habe. Palermo lud OB Schlapper mit Gattin samt einer kleinen Abordnung zum Zitronenfest am 11. bis 14. Februar ein. Der Baden-Badener OB bedankte sich herzlich für die Einladung, bat aber um einen späteren Termin im Monat März, da er neben seinen vielfältigen Verpflichtungen über die Fastnachtstage zudem noch die Termine des sich in Urlaub weilenden Kurdirektors übernehmen müsse.
Schlapper schrieb: „Ich erlaube mir jedoch Ihnen vorzuschlagen, dass Herr Seydel nach seinem Urlaub in Begleitung meines in Partnerschaftsfragen kompetenten Assistenten, Herrn Stadtdirektor Kleinkopf, nach Menton reist, um Ihre Stadt und die nähere Umgebung kennenzulernen. Nach diesem Besuch werden sie ihre Berichte unserem Gemeinderat vorlegen, der dann zweifellos der Partnerschaft zwischen unseren Städten zustimmen wird. Wenn alle Formalitäten erledigt sind, freue ich mich, Sie mit Ihrer Frau und Persönlichkeiten Ihrer Stadt in Baden-Baden zu treffen, um Sie hier mit all den Menschen in Kontakt zu bringen, die sich in Zukunft um die sich vertiefenden Beziehungen zwischen den Städten Menton und Baden-Baden kümmern. Soweit es mich betrifft habe ich vor, meinen Urlaub im Frühjahr an der französischen Riviera zu verbringen. Ich werde gerne diese Gelegenheit nutzen, um Sie in Menton zu besuchen.“
In seinem Antwortbrief zeigte sich Bürgermeister Palermo zwischen den Zeilen etwas enttäuscht, weil sein Amtskollege nicht selbst nach Menton kommen konnte: „Ich bedaure sehr, dass Sie nicht an unserem Zitronenfest teilnehmen können, da wir mit diesem wichtigen Fest die Wintersaison abschließen. Ich nehme zur Kenntnis, dass Herr Seydel und sein Assistent uns so bald wie möglich besuchen werden. Ich möchte Sie informieren, dass das Zitronenfest bis zum 15. Februar andauert und dass ich mich freuen würde, wenn Sie in dieser Zeit kommen könnten. Andernfalls werden wir entsprechend Ihrer Terminlage auf sie warten. Wenn Sie im Frühjahr Ihren Urlaub an der Côte d’Azur verbringen freue ich mich, wenn Sie einige Tage dieser Ferien unserer Stadt widmen.“
„Außerordentlich frendschaftliche Aufnahme in Menton“
Anfang Februar schrieb Schlapper nach Menton, Kurdirektor Seydel werde mit Gattin am Zitronenfest teilnehmen und zwischen dem 11. und 13. Februar nach Menton reisen: „Ich freue mich sehr, dass wir auf diese Weise die Möglichkeit haben, die Frage der Partnerschaft unserer beiden Städte bereits im März unserem Gemeinderat vorlegen zu können. Ich hoffe aufrichtig, dass wir danach in aktivem und dauerhaftem Kontakt bleiben.
Nach seiner Rückkehr berichtete Hans Seydel: „Die Aufnahme in Menton war von einem außerordentlich freundschaftlichen Geist getragen.“ Die Gastgeber hatten für die Besucher aus Baden-Baden ein umfangreiches Besichtigungsprogramm vorbereitet.
In den Gesprächen Seydels mit Bürgermeister Palermo und seinen Vertretern kam man überein, den Festakt der Partnerschaft in Baden-Baden zu begehen, nachdem Menton die ersten Schritte zum Zustandekommen unternahm. Weil auch Francis Palermo als Abgeordneter zahlreiche Verpflichtungen zu erfüllen hatte, einigte man sich auf einen Termin nach der Großen Woche im Bereich des 8. bis 12. September 1961. Dabei sollen am Sonntagvormittag in einer Stadtratssitzung Pergament-Urkunden ausgetauscht sowie ein Gastgeschenk, in der Regel ein Ölgemälde der Stadt, übergeben werden. Gleichzeitig besprach man erste Aktivitäten. So soll es noch 1961 zu einem Jugendaustausch kommen. Zudem will Bürgermeister Palermo im Mai oder Juni nach Baden-Baden reisen, um mit Oberbürgermeister Schlapper über weitere Einzelheiten zu sprechen.
Zusammentreffen mit dem Künstler Jean Cocteau
Seydels Programm umfasste neben der Teilnahme am Zitronenfest ein Zusammentreffen mit dem damals bereits berühmten Schriftsteller und Maler Jean Cocteau, der übrigens gut Deutsch sprach und Baden-Baden kannte. Weiter besichtigen die Seydels das hoch über dem Meer gelegene Dorf Gorbio, besuchten Monaco – Monte Carlo und fuhren entlang der Grande Corniche nach La Turbie.
Der Baden-Badener Gemeinderat tagte am 7. März 1961. In der öffentlichen Sitzung stimmten die Stadträte einstimmig für die Städtepartnerschaft mit Menton und ermächtigten den Oberbürgermeister, die „weiteren erforderlichen Maßnahmen zu treffen“. In der Sitzungsvorlage nannte die Stadtverwaltung Gründe für die Partnerschaft, der „nicht nur kulturelle Bedeutung zukommt, sie dient vor allem der Verständigung und Vertiefung der Freundschaft zwischen dem französischen und deutschen Volk.“
OB Schlapper berichtet wenige Tage später seinem Amtskollegen Palermo „mit großer Freude“ über den Ratsbeschluss. In seinem Brief hieß es weiter: „Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen die Zufriedenheit zum Ausdruck bringen, die diese Entscheidung bei mir hervorruft und die eine ganz besondere Verbindung zwischen unseren Städten herstellt. Der begeisterte Bericht von Herrn Seydel hat hier ein Klima aufrichtiger Freundschaft geweckt und den festen Willen hervorgebracht, durch diese Partnerschaft zu einem guten Verständnis zwischen den beiden Regionen im Besonderen und zwischen europäischen Städten und Gemeinden im Allgemeinen beizutragen. Alles, was wir tun müssen, ist auf Ihren Besuch Mitte September zu warten, an dem Sie mit Ihrer Delegation nach Baden-Baden kommen, um diese glückliche Partnerschaft in einer feierlichen Zeremonie zu bestätigen.“
Am 25. Juni erreichte ein Brief aus Menton das Baden-Badener Rathaus, in dem Bürgermeister Palermo Termine für einen Schüleraustausch vorschlug. Bereits gute zwei Wochen später, am 10. Juli, sollten die Baden-Badener Gastschüler für drei Wochen nach Menton kommen. Auf dem Rückweg würden die Mentoneser Schüler gleich nach Baden-Baden mitreisen, ebenfalls für drei Wochen. OB Schlapper antwortete und bat um Verständnis, dass es in der Kürze leider nicht möglich sei, geeignete Schüler zu finden, die man für drei Wochen aus der Schule nehmen könne. Auch das Finden von Gastfamilien sei auf die Schnelle nicht einfach. Schlapper schlug vor, den Austausch im Herbst vorzunehmen. Und er bot an, die Mentoneser Gruppe, wie vorgeschlagen vom 31. Juli bis 21. August, in Baden-Baden willkommen zu heißen. Letztlich konnte aber auch das wegen der knappen Vorbereitungszeit nicht umgesetzt werden.
Zum feierlichen Unterzeichnen der Partnerschaftsurkunden reiste die Delegation aus Menton von Sonntag, 10., bis Mittwoch,13. September 1961, nach Baden-Baden, begleitet von der Folklore-Tanzgruppe „La Capeline“, die vorher noch einen Auftritt in Berlin hatte. Die Mentoneser Gäste kamen mit dem Nachtzug am Sonntagmorgen, 10. September, um 6.21 Uhr am Bahnhof in Baden-Oos an und wurden nach der offiziellen Begrüßung, wohl noch etwas müde von der anstrengenden Reise, in ihre Unterkünfte geleitet.
Zum Willkommensgruß seiner südfranzösischen Gäste fand Oberbürgermeister Schlapper herzliche Worte: „Mit aufrichtiger Freude begrüße ich die Vertreter von Menton, an ihrer Spitze meinen Kollegen, Herrn Bürgermeister Palmero, die zu uns gekommen sind, um die Verbindung unserer beiden Städte zu dokumentieren. Nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte haben sich Baden-Badens Tore weit geöffnet, um Gäste aus dem Nachbarland aufzunehmen. Niemals indessen geschah dies mit so warmer Anteilnahme der gesamten Bevölkerung wie heute. Vielfach sind die Fäden gesponnen, die zu allen Zeiten hinüberreichten über den Rhein. Und so wollen wir diese Freundschaft von ganzem Herzen erneuern und die einigenden Kräfte der Versöhnung und des guten Willens auf breiter Basis zum Durchbruch führen.“
„Das Gesicht des Kurortes Menton,“ so Schlapper weiter, „an der der Küste des Mittelmeers gelegen, wurde ebenso wie das unserer Stadt geprägt, durch das stetige Bemühen, Leidenden Heilung zu bringen und Freude und Entspannung zu schenken. Hier ist der Mensch noch Mittelpunkt des Lebens, während wirtschaftliche Erwägungen zurücktreten. Darum wird auch unsere Partnerschaft eine Herzenssache sein, und ich rufe alle Bürger Baden-Badens auf, sich diese schöne Aufgabe zu eigen zu machen und der Welt ein Beispiel zu geben. Unseren aus dem sonnigen Südfrankreich in den herbstlichen Schwarzwald gekommenen Gästen möge der Aufenthalt in Baden-Baden schöne, unvergessliche Tage schenken, und uns alle mit neuer Hoffnung für die Zukunft Europas erfüllen.“
Und Kurdirektor Hans Seydel betonte: „Beide Städte leisten einen nicht unerheblichen Beitrag zur politischen Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland. Dankbar wollen wir entgegennehmen, was unsere Freunde im Süden Frankreichs an Sonne und Wärme zu bieten haben, wie sie sich in der Pracht ihrer bereits im Januar in voller Blüte stehenden Mimosenwälder, in ihren Apfelsinen-, Zitronen- und Olivenhainen, in ihrer Kunst-pflege – Malerei, Dichtung, Musik, Architektur und vieles andere mehr – offenbaren. Geben wollen wir ihnen freudig vom Reichtum des Zaubers, der sich seit vielen Jahrhunderten mit dem Namen Baden-Baden in aller Welt verbindet, mit dem gesunden Atem unserer Wälder, Berge und Täler in der herrlichen Schwarzwaldlandschaft, die Menschen aus dem heißen Süden im Sommer immer wieder so stark zu beglücken vermag, mit der Kraft unserer Heilquellen und den Kräften des Geistes, der in so vielfacher Gestalt aus den Mauern unserer Stadt hinausstrahlt.“
Seydel weiter: „Wenn wir in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts unter zahlreichen anderen prominenten Touristen eine Persönlichkeit wie die Königin Victoria von England besonders gern ihre Ferientage in Baden-Baden und Menton verbracht hat und in ihren Lebenserinnerungen gerade über diese beiden Plätze berichtet, so liegt nicht zuletzt hierin eine tiefere Bedeutung, auf die wir uns in diesen Tagen gern besinnen. Möge es vor allem die Jugend beider Städte sein, die aus der nun beschlossenen Partnerschaft Nutzen zieht. Und möge jeder, der in einer Tages- oder Nachtreise süd- oder nordwärts fährt, innerlich beglückt und bereichert vom Erleben der Schwesterstadt und ihrer Umgebung in die Heimat zurückkehren.“
Das umfangreiche Festprogramm konnte sich sehen lassen: Um 11.30 Uhr war im Rathaus der Empfang des Oberbürgermeisters und des Gemeinderats im Großen Sitzungssaal (heute Alter Ratssaal). Nach den Begrüßungsansprachen folgen das Unterzeichnen und der Austausch der Partnerschaftsurkunden.
Das weitere Besuchsprogramm beinhaltete ein gemeinsames Mittagessen mit anschließender Besichtigung der Spielbank. Abends, gegen 20.15 Uhr, ging es weiter mit einem Bunten Abend im Kurhaus in Anwesenheit des französischen Botschafters in Deutschland, François Louis Auguste Seydoux Fornier de Clausonne. Am Programm beteiligt waren die folkloristische Gruppe „La Capeline“ aus Menton und die Baden-Badener Trachtengruppe. Für den musikalischen Rahmen sorgte die Kapelle von Werner von Overheidt. Um 22 Uhr schloss sich der „Empfang des Oberbürgermeisters der Stadt Baden-Baden“ für geladene Gäste im Terrassenrestaurant des Kurhauses an.
Am Montag, 11. September, war eine ausgedehnte Stadtrundfahrt mit Besichtigung der Hauptsehenswürdigkeiten mit anschließender Fahrt über die Schwarzwaldhochstraße vorbereitet. Das Mittagessen nahmen die Teilnehmer im traditionsreichen Kurhaus Sand ein. Von dort erfolgte die Weiterfahrt über Bühlertal zum Bühler Weindorf mit Empfang und Bewirtung durch den Oberbürgermeister der Stadt Bühl. Um 18 Uhr schloss sich der Empfang des französischen Konsuls in Baden-Baden, Monsieur Patry, an.
Auch der Dienstag, 12. September, ist prall gefüllt: Um 11 Uhr war der Empfang der Industrie- und Handelskammer Baden-Baden mit Begrüßungsansprachen und Gedankenaustausch über die Möglichkeiten der Förderung wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Menton und Baden-Baden angesetzt. Ein Mittagessen folgte um 13 Uhr im Hotel Tour d’Auvergne. Dem schloss sich eine Kaffeetafel im Alten Schloss an. Ein Empfang der Deutsch-Französischen Gesellschaft in den Clubräumen in der Langen Straße 69 schloss gegen 18 Uhr das offizielle Programm ab. Die Rückreise war am Mittwoch, 13. September.
Förderung der sprachlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen
Der Text der von beiden Oberbürgermeistern im Rathaus unterzeichneten Partnerschaftsurkunden lautet: „Durch diese Urkunde wird beglaubigt, dass der Oberbürgermeister und der Gemeinderat der Stadt Baden-Baden am 10. September 1961 im Rathaus zu Baden-Baden den Bürgermeister und den Gemeinderat von Menton, Alpes Maritimes, in feierlicher Form empfangen haben. Die berufenen Vertreter beider Städte haben anlässlich dieser Begegnung ihren Entschluss bekundet, eine Partnerschaft zu schließen und den Bürgern ihrer Städte Möglichkeiten und Erleichterungen zur Förderung der gegenseitigen sprachlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zu bieten. In einem Zeitalter, in dem das französische und deutsche Volk ein neues Blatt in ihrer Geschichte aufschlagen und damit wertvolle Beiträge zum Verständnis der Völker untereinander und zum Weltfrieden leisten, wollen die Städte Baden-Baden und Menton sich fortan zur Lösung gemeinsamer Probleme zusammenfinden und damit die Jugend auf den Weg zu Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit führen.“
Die beeindruckende Rede Ernst Schlappers sagte viel über den Wunsch zum Frieden und den Aufbruch in das gemeinsame Europa aus: „Der Anlass, der uns hier zusammenführt, ist nicht neu. Städteverschwisterungen fanden schon vor dieser statt und wird es in Zukunft noch viele geben. Aber, dass sie nach dem letzten Krieg noch einmal zwischen Frankreich und Deutschland möglich geworden sind, verdient ein kurzes Verweilen. Vor mehr als zehn Jahren besuchte ich mit einigen Kollegen St. Nazaire, die Stadt, in der die Deutschen wahrhaftig keinen Stein auf dem anderen gelassen hatten. Trotzdem empfing uns der französische Bürgermeister mit freundschaftlicher Umarmung und sagte, angesichts des wohl erschütterndsten Bildes totaler Zerstörung: ‚Hier auf diesen Trümmern müssen wir beginnen, Europa zu bauen!‘. Heute ist der Augenblick gekommen, sich jenes tiefbewegenden Erlebnisses zu erinnern. Denn Männern wie diesen, Fanatikern des guten Willens und unbeirrbar in ihrem Glauben, ist es zu danken, dass jene prophetischen Worte in so knapper Zeit sich der endgültigen Verwirklichung nähern, dass das Vergangene zwar nicht vergessen wird – es muss und soll immer Lehre und Mahnung bleiben – , dass aber das Verzeihen bittere Ressentiments allmählich auslöscht und den Weg freimacht zu positivem Zueinanderfinden.“
Freundschaftliche Verbundenheit zwischen Frankreich und Deutschland
Schlapper betont weiter: „Angesichts der politischen Krisen und allgemeinen Schwierigkeiten, mit denen fast alle Völker der Welt zu kämpfen haben, mag es tröstliche Verheißung sein, dass der zu ihrer Zeit noch Utopie scheinende Traum der bedeutenden Staatsmänner Briand und Stresemann – die endliche freundschaftliche Verbundenheit zwischen Frankreich und Deutschland – beglückende Wirklichkeit wurde. Es wird wohl immer die Tragik geschichtlicher Entwicklung sein, dass die Völker nie zur rechten Stunde reif genug sind, den Gedanken ihrer vorausschauenden Großen folgen zu können. Auch wir, Franzosen und Deutsche, mussten erst noch einmal die bitteren Konsequenzen feindlichen Gegeneinanderstehens erleiden, um endlich zu begreifen, dass wir mindestens ebenso viel Gemeinsames wie Trennendes besitzen, dass aber kaum zwei Völker so prädestiniert sind, einander zu ergänzen, wie die unsrigen. Der endgültige Sieg dieser Erkenntnis erhärtet erneut, dass nichts in der Geschichte ohne Bedeutung ist, dass keine große Tat, kein kühner Gedanke im Ablauf der Jahrtausende verloren sind. Die Sternstunde des Sichfindens gibt auch den Generationen währenden, bitteren Umweg, den Frankreich und Deutschland durchstehen mussten, nun seinen tiefen Sinn und rechtfertigt die Opfer, die immer wieder, im Großen wie im Kleinen, für dieses Ziel gebracht wurden. Ich habe heute willkommene Gelegenheit, denen in aller Form zu danken, die an dieser Stelle, in Baden-Baden, der ehemaligen Hauptstadt der französischen Besatzungszone, nun dem Sitz der verbündeten NATO-Streitkräfte, ohne Zögern begannen, in mühsamer, kaum je gewürdigter zäher Kleinarbeit die Voraussetzungen für diese Stunde zu schaffen. Es freut mich, dass Sie, unserer Einladung folgend, an dem Tag bei uns sind, an dem durch die Verschwisterung von Menton und Baden-Baden der Kette, die Frankreich mit Deutschland verknüpft, ein neues Glied eingefügt und somit ein weiterer Beitrag geleistet wird zum Bau unseres größeren Vaterlands: E U R O P A !“
„Partnerschaft nach bewährten Vorbildern“
Abschließend unterstrich Schlapper, der für seine beeindruckende und herzergreifende Rede langanhaltenden Beifall bekam: „Die Partnerschaft Menton – Baden-Baden vollzieht sich nach bewährten Vorbildern, und doch weicht unsere Verbindung ein wenig von der Norm ab, nach der nur wirtschaftliche, kulturelle und geistige Interessen bei den Zusammenschlüssen Pate stehen. Uns ist noch etwas Besonderes zu eigen. Beide Städte haben weltoffene Gastlichkeit auf ihr Panier geschrieben. Sie haben keinen ausgeprägten kommerziellen Ehrgeiz – trotz des von unseren gemeinsamen Kolonisatoren, den Römern, übernommenen Geschäftssinnes – sie rechnen nicht in Waren und denken nicht in Bilanzen. Ihr Ziel ist es vor allem, den Menschen Erholung, Entspannung und Freude zu schenken. Baden-Baden, heute wie einst, ville souriante, der beschwingte Akzent im ernsten Bild strenger Schwarzwaldlandschaft und Menton, strahlende, sonnige Tochter der lieblichen Côte d’Azur, welch ein Akkord! Eine Melodie so recht nach unseren Herzen. Wir haben uns hier stets in der Kunst versucht, dem Schönen im Leben Bahn zu schaffen, mit dem Geschenk unserer Thermen, mit Sport, Spiel und kultivierter Geselligkeit den Lasten des Alltags zu entführen in die Regionen des unbeschwerten Daseins, einer Kunst, in der unsere Schwester Menton Meisterin ist. Aus diesem Gleichklang, aus dem reizvollen Kontrast unserer Landschaften und der sich ergänzenden Wesensverschiedenheit unserer regionalen Bevölkerung dürfte eine Verbindung wachsen, die eine Hymne an die Freude, an die Natur, an alles Gute und Schöne ist. Möge der Weg zwischen den schlanken Tannen der Wälder um Baden-Baden und den graziösen Palmen am Strande von Menton zu einer Straße der Lebensbejahung, einer Achse des Frohsinns und der heiteren Lebenskunst werden!“ Leider ist die Rede Francis Palmeros in den Akten des Stadtarchivs nicht enthalten.
Empfang im festlich geschmückten Kurhaus
Der abendliche Empfang im festlich geschmückten Kurhaus war ein weiterer Höhepunkt. Zahlreiche französische und deutsche Fahnen schmückten Kurgarten und Kurhaus. Eine Fülle von Rosen und Herbstblumen dufteten im Treppenaufgang und im Großen Bühnensaal, wie der Bénazet-Saal früher hieß. Den Vorhang im Hintergrund der Bühne krönten die Stadtwappen Mentons und Baden-Badens. Zu Beginn der Veranstaltung marschierten Jugendliche mit den Fahnen der städtischen Vereine und Institutionen ein. Es folgten die Mentoneser Trachtengruppe „La Capeline“ und eine Gruppe von Schwarzwaldmädel.
Wie sich der Austausch der Partnerstädte künftige gestalten kann, skizzierte Schlapper bei seiner Ansprache: „Der Sinn des Freundschaftspaktes zwischen unseren beiden Städten darf sich nicht im Briefwechsel zwischen einigen Gemeinderäten oder den beiden Stadtoberhäuptern erschöpfen. Was jetzt folgen muss, ist eine Vertiefung unserer Partnerschaft von Familie zu Familie. Die Bürgerschaften beider Städte, darunter vorwiegend der Jugend, müssen nunmehr die Träger dieser besiegelten Freundschaft werden. Es soll niemals so sein, dass unsere Städtepartnerschaft in ‚gewissen Kreisen‘ hängen bleibt. Die Partnerschaft soll die Menschen einander näherbringen und die Jugend befreunden.“
“ Brüderliche Freundschaft über die Grenzen hinweg „
Der französische Botschafter in der Bundesrepublik, François Seydoux de Clausonne, dankte Schlapper für seine Worte und betonte, welch große Freude es für ihn sei, diese Jumelage miterleben zu dürfen. Hier würde von einer neuen Generation da angeknüpft, wo andere vor dreißig Jahren gescheitert seien. Damals hätten Briand und Stresemann mit ihren großen Ideen allein gestanden, jetzt würden sich auch die Völker den Gedanken der brüderlichen Freundschaft über die Grenzen hinweg zu eigen machen. Für künftige Generationen von Deutschen und Franzosen werde allein nur noch die herzliche, menschliche Beziehung ausschlaggebend sein. Baden-Baden und Menton verglich der Botschafter mit zwei schönen Mädchen, die sich die schwesterliche Hand reichen. Begeisterter Beifall dankte Seydoux für seine mit echt französischer Verve und Spontanität vorgetragene Rede.
Am letzten Abend des Besuchsprogramms dankte Mentons Bürgermeister Francis Palmero im Namen der Delegation für die überaus herzliche Aufnahme in Baden-Baden. Sein Dank ging an alle, die am Zustandekommen der Partnerschaft beteiligt waren, besonders Oberbürgermeister Schlapper, den er herzlich zu einem Gegenbesuch in Menton einlud: „Am besten zur Zeit des Zitronenfestes im Frühjahr, der schönsten Jahreszeit an der Côte d’Azur.“ Palmero versprach, alle Baden-Badener mit der gleichen Herzlichkeit, Gastlichkeit und Freundschaft zu empfangen, die ihm und seinen Landsleuten im Oostal entgegengebracht worden sei.
Kurz vor der Rückreise trat die Volkstanzgruppe „La Capeline“ spontan am unteren Sophienboulevard auf, sehr zur Freude der Passanten, die rauschenden Beifall spendeten und zahlreiche Bravorufe verteilten. Oft, daran war die Capeline schon gewöhnt, waren Zugaben gefordert, die die Franzosen gerne gaben. Schnell waren mehrere Hundert Passanten auf dem Platz, um dieses ungewöhnliche Schauspiel südländischer Unbeschwertheit zu bewundern. Auch an den Balkonen und den Fenstern genossen viele Zuschauer die willkommene Abwechslung. Und in der Volksbank, dem Holland-Hotel und in der Post wurden für ein paar Minuten die Arbeit niedergelegt.
Die „Capeline“ war mit je zehn Männern und Frauen angereist, einem Jungen und zwei Mandolinenspielern. Die Männer trugen helle, weite Hosen, weiße Hemden und blaue Blusen samt großen Baskenmützen. Die Frauen sah man in rotweiß gestreiften Röcken, darüber unten abgerundete Schürzen, weiße Blusen, rote, graue oder schwarze Mieder, dazu gestickte Schultertücher, Blumen im Haar sowie am Mieder und trugen geflochtene Blumenkörbe. Die Mandolinenspieler unterschieden sich von der Tracht der anderen durch Kniebundhosen, geringelte Strümpfe und rote Zipfelmützen. Besonders interessant war ein Musikinstrument, das aus einem mit Pergament bespanntem Henkeltopf bestand. Durch die Bespannung ist ein Stock gezogen, der hin und her bewegt ein seltsam schnarrendes Geräusch erzeugte.
Die von diesem außergewöhnlichen Ereignis verständigte Polizei waltete liebenswürdig ihres Amtes. Sie sorgte durch mehrere Posten dafür, dass der Verkehr trotz der Menschenansammlung nicht zu sehr stockte und keiner von den Darbietungen entzückte Zuschauer gedankenverloren unter ein Auto geriet.
Diese Tage in Baden-Baden waren der Beginn einer über Jahrzehnte lebendigen Partnerschaft, die neben Vertretern der Politik vor allem durch die Bürgerschaft beider Städte heute noch getragen wird. Herzliche Zusammenkünfte, hier wie dort, prägen den Kontakt der Baden-Badener mit den Mentonesern. Vor allem der Baden-Badener Städtepartnerschaftsverein sorgt durch seine zahlreichen Bürgerreisen dafür, dass der Gedanke der Gründerväter auch heute noch lebt und mit völkerverbindenden Inhalten gefüllt wird. Es ist nach wie vor eine wichtige Aufgabe, an den Städtepartnerschaften im Interesse eines friedlichen und verständnisvollen Miteinanders auch in Zukunft zu arbeiten.